Ich wurde gut im Team der Daily Star Fotografen aufgenommen. Wir machen Witze, ich lerne die ersten Worte in Bangla, in den Pausen trinken wir zusammen Tee. Einzig mit dem Einbinden in den Arbeitsalltag klappt es noch nicht. Die Fotografen sind besorgt. Die politische Situation in Bangladesch ist angespannt. Es gibt Zusammenstösse zwischen unzufriedenen Fabrikarbeitern oder Studenten mit der Polizei. Ausserdem rücken die Wahlen näher, was die Sicherheitslage zusätzlich verschlechtern wird. Amran ist dagegen, dass ich zu irgendwelchen Demonstrationen mitgenommen werde. Er fragt: «Ich mache dort draussen meinen Job. Was soll ich tun, wenn du plötzlich verletzt am Boden liegst? Weiter fotografieren oder mich um dich kümmern?» Eine Antwort gibt er keine, sie ist aber auch nicht nötig.
Meine Kollegen sind nicht kaltherzig. Sie möchten einfach nicht die Verantwortung übernehmen, dass mir unter ihrer Obhut etwas zustossen könnte. Die Fotografen hier sind sich gewalttätige Auseinandersetzungen gewohnt. Sie kennen die Stadt, können die Lage einschätzen und wissen, wie sie sich verhalten müssen, wenn die Stimmung plötzlich kippt. In einer solchen Situation auf das wohlbehütete Mädchen aus der Schweiz aufpassen? Dafür bleibt keine Zeit. Nun, ich lasse es mal gut sein, hoffe aber, dass sie mir mit der Zeit mehr zutrauen werden.
Anstatt Arbeiteraufstände zu dokumentieren, ist mein erster Auftrag deshalb zusammen mit Anis den Meena-Day zu besuchen. Meena ist eine Cartoon-Figur, die von UNICEF entwickelt wurde. Das Mädchen Meena, ihr Bruder Raju und ihr Papagei Mithu bringen in Büchern und am TV den Kindern in Südasien auf witzige und unterhaltsame Weise gesellschaftliche Themen näher. Es geht etwa um die Gleichstellung von Mädchen und Buben, die Wichtigkeit lesen und schreiben zu lernen aber auch der Umgang mit Krankheiten oder das Bewahren von Hygiene wird thematisiert. Das Motto des heutigen Meena-Days lautet: «Stoppt die Verheiratung von Minderjährigen».
Mädchen sollen keine Bräute sein
Laut Unicef geht die Zahl der Kinderehen in Bangladesch zwar zurück, ist aber immer noch hoch. 65% der Mädchen werden vor dem 18. Geburtstag verheiratet, rund ein Drittel gar vor ihrem 15. Lebensjahr. Dabei ist das gesetzlich festgelegte Alter für Hochzeiten bei Mädchen auf 18 und bei Jungen auf 21 Jahre festgelegt. Gegen Geld lassen sich aber Geburtsurkunden fälschen.
Der Anlass des Meena-Days findet auf einem grossen Feld irgendwo in Dhaka statt. Kaum fahren Anis und ich mit dem Motorrad vor, treffen mich die ersten neugierigen Blicke und ein paar besonders mutige Kinder strecken mir ihre Hände entgegen und fragen «How are you?». Als ich meine Fotokamera aus der Tasche nehme gibt es kein Halten mehr. Alle wollen aufs Foto und zwar so nah dran, dass sie ausserhalb des Fokusbereichs sind. Mache ich einen Schritt zurück folgt mir die ganze Meute und ein paar weitere drängen sich dazwischen. Mütter zeigen mir ihre kranken Babys, Mädchen streicheln mir über die Arme und starren mich mit grossen Augen an, die Jungs hüpfen aufgeregt vor meiner Linse auf und ab und halten dabei die Finger zum Victory-Zeichen geformt und im Hintergrund schauen ein paar junge Männer dem unerwarteten Besuch zu.
Es ist für mich schier unmöglich ein Bild vom eigentlichen Geschehen auf der Bühne unter dem Zelt zu machen. Erst als Anis nach einer Weile nach mir schaut und die Leute in Bangla zurechtweist, habe ich Ruhe… zumindest für ein paar Minuten.
Zum Glück tauchen schliesslich drei Erwachsene auf, die als Meena, Raju und Mithu verkleidet die Aufmerksamkeit von mir weg auf sich ziehen. Aber auch sie haben Probleme die Kinder zur Ruhe zu bringen. Als sie sich für ein Foto mitten in die Kinderschar stellen braucht es Anweisungen aus dem Megafon und wild gestikulierende Aufpasser und Fotografen damit sich alle so aufstellen, dass es ein schönes Bild gibt. Kaum ist dieses im Kasten drängt Anis zum Aufbruch.
Anis ist enttäuscht, dass ausser uns keine anderen Journalisten am Anlass erschienen sind. Er findet, dass dieses Thema unbedingt mehr Medienpräsenz erfahren müsste. Ich bin etwas irritiert, da schliesslich noch ein paar andere Fotografen und ein VJ vor Ort waren. Die, so Anis, seien aber im Auftrag von UNICEF selbst dort gewesen.
Als wir später auf dem Motorrad zu einem weiteren Auftrag über eine Kunsthandwerksmesse durch die Stadt fahren, treffen wir einen anderen Fotojournalisten an. Wir halten am Strassenrand an und wechseln ein paar Worte. Der Fremde schwärmt von Anis’ als einem hervorragenden Fotografen. Besonders angetan hat es ihm ein Bild, das Anis scheinbar nur ein paar wenige Meter von hier aufgenommen hat. «An amazing picture. What a great photographer to capture this moment.» Ich bin natürlich neugierig, was auf diesem so grossartigen Bild zu sehen war und bin ziemlich perplex, als ich es erfahre: Ein Verkehrsunfall! Ich frage mich, was an einem solchen Bild toll sein kann? Und gehört nicht vor allem «Glück» dazu, an einen Unfall vorbeizukommen? Nun, Anis scheint die Diskussion um dieses Bild unangenehm. Und trotz mehrmaligen Nachfragen hat er mir das Foto bis heute nicht gezeigt. Ihm wäre es wohl lieber man würde über den Meena-Day und dessen Botschaft sprechen.
Link:
Ein Bericht zum Thema Kinderhochzeit im Daily Star: Girls not Brides – Tony Michael Gomes
Die Schweizer Journalistenschule MAZ und die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit DEZA bieten jedes Jahr einigen jungen Journalisten und Fotografen die Chance, für ein paar Monate auf Redaktionen in Ländern des Südens zu arbeiten. Im Rahmen dieses Projekts habe ich vom 19. September 2013 bis am 17. Januar 2014 für die Zeitung «The Daily Star» in Dhaka, Bangladesch, fotografiert. Was ich dabei erlebt habe, findet Ihr in diesem Blog unter der Rubrik Bangladesch. Meine Beiträge sowie jene von meinen Kollegen in anderen Ländern könnt Ihr auch hier verfolgen.
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