Heute finden in Bangladesch Parlamentswahlen statt. Die meisten Leute hier nennen die «Elections» aber «Selections», da das Wahlresultat schon längst bekannt ist. Wegen eines Boykotts der Opposition rund um die Bangladesh Nationalist Party (BNP) steht die regierende Awami League unter Sheikh Hasina schon seit Wochen als Siegerin fest. In 153 von 300 Wahlkreisen hat sie keine Gegenkandidaten. Über die Hälfte der fast 92 Millionen Stimmberechtigten in Bangladesch haben deshalb keine Wahl. Und dort, wo die Menschen eine Wahl hätten, ist die Stimmbeteiligung sehr gering. Trotz dem Grossaufgebot von 270’000 Sicherheitskräften bleiben viele Leute aus Angst vor Gewaltausbrüchen lieber zu Hause als ins Wahllokal zu gehen. Seit der Bekanntgabe des Wahltermins Ende November sind bei politischen Auseinandersetzungen über 120 Menschen getötet worden (Berichte über die Gewalt im Vorfeld der Wahlen: Ein Land gerät ausser Kontrolle und Marsch nach Dhaka). In der Nacht vor den Wahlen wurden über 100 Wahllokale, die meist in Schulen eingerichtet wurden, in Brand gesteckt. Es war ein letzter Versuch der Oppositionsanhänger die Wahlen zu verhindern. Im Gegenzug wurden heute mindestens 19 Aktivisten getötet.
Die Rivalität zwischen der Ministerpräsidentin Sheikh Hasina (Tochter des 1975 ermordeten Staatsgründers Mujibur Rahman) und der Chefin der führenden Oppositionspartei BNP Khaleda Zia (Witwe des 1981 ermordeten ehemaligen Präsidenten Ziaur Rahman) dauert schon seit Jahrzehnten an. Seit 1991 wechseln sie sich im Amt der Ministerpräsidentin ab. 1996 kämpfte die Awami League (AL) um Sheikh Hasina dafür, dass für die Durchfürhung fairer Wahlen jeweils eine neutrale Übergangsregierung gebildet wird. Trotz dieser Regelung kam es bei den Wahlen 2007 zu Gewaltausbrüchen. Die Armee musste eingreifen und übernahm in der Folge die Macht für zwei Jahre. Und nun 2014 finden zum ersten Mal seit 18 Jahren wieder Wahlen unter der aktuellen Regierung statt, da sich Sheikh Hasina gegen die Bildung einer Übergangsregierung gewehrt hat… etwas, wofür sie ironischerweise einst so erbittert gekämpft hat.
Khaleda Zia glaubt nicht, dass unter diesen Umständen eine faire Wahl stattfinden kann. Sie und ihre Partei, die BNP, haben deshalb früh entschlossen die Wahlen zu boykottieren. Weitere Parteien schlossen sich dem Boykott an. Viele Führer der Opposition wurden verhaftet, andere sind aus Angst davor abgetaucht. Khaleda Zia wurde unter Hausarrest gestellt, obwohl die Regierung dies offiziell bestreitet. Aber warum sonst, ist ihr Haus seit einigen Tagen von unzähligen Sicherheitskräften und Polizeifahrzeugen umstellt?
Ein ähnliches Schicksal ereilte den früheren Diktator und Führer der Jatiy Party HM Ershad. Er galt ursprünglich als Partner der AL. Seit er allerdings seine Meinung änderte und zum Boykott der Wahlen aufrief, hält ihn die Regierung unter dem Vorwand, ihm medizinische Behandlung zukommen zu lassen, in einem Spital fest.
Dass die Wahlen unter diesen Umständen bloss eine Farce sind, ist allen klar. Und ob die Spannungen zwischen den verfeindeten Parteien danach nachlassen, ist ebenfalls mehr als fraglich. Die Streiks, so hat es die Opposition angekündigt, werden jedenfalls weiter gehen.
Ich habe von meinen Kollegen beim Daily Star für heute Hausarrest erhalten. Ihre offizielle Begründung ist, dass ich keine Genehmigung zur Abdeckung der Wahlen habe (alle Fotografen mussten einen Pass beantragen). Das lasse ich natürlich nicht gelten, da ich als westliche Begleitung eines Fotografen bis jetzt nie Probleme hatte irgendwo reinzukommen. Schliesslich rücken sie mit dem wahren und bereits vermuteten Grund heraus: Der Chefredaktor Mahfuz Anam hat die Fotografen angewiesen, mich an diesem Tag nirgendwohin mitzunehmen. Klar bin ich enttäuscht, ist es doch DAS Ereignis auf welches wir seit Wochen gewartet haben.
So habe ich leider keine Bilder vom Wahltag. Gestern habe ich allerdings ein Zentrum besucht, von dem aus die Wahlurnen und Stimmzettel in die verschiedenen Wahllokale verteilt wurden.
Gedanken und Eindrücke: Dhaka vor den Wahlen
Die Schweizer Journalistenschule MAZ und die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit DEZA bieten jedes Jahr einigen jungen Journalisten und Fotografen die Chance, für ein paar Monate auf Redaktionen in Ländern des Südens zu arbeiten. Im Rahmen dieses Projekts habe ich vom 19. September 2013 bis am 17. Januar 2014 für die Zeitung «The Daily Star» in Dhaka, Bangladesch, fotografiert. Was ich dabei erlebt habe, findet Ihr in diesem Blog unter der Rubrik Bangladesch. Meine Beiträge sowie jene von meinen Kollegen in anderen Ländern könnt Ihr auch hier verfolgen.
< Dhaka vor den WahlenDas Leben geht weiter >
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