Für den 29. Dezember hatte die Oppositionspartei BNP zu einem Marsch für die Demokratie nach Dhaka aufgerufen. Es war ein letzter Versuch Ministerpräsidentin Sheikh Hasina dazu zu bewegen, die am 5. Januar 2014 stattfindenden Wahlen abzusagen. Die Regierung schottete daraufhin aus Angst vor gewalttätigen Auseinandersetzungen die Hauptstadt fast komplett ab. Strassen wurden kontrolliert, Zug-, Bus- und Schiffsverbindungen lahmgelegt. Oppositionsführerin Khaleda Zia, die an dem Marsch teilnehmen wollte, wurde durch ein Grossaufgebot an Polizei daran gehindert, ihr Haus zu verlassen. Über tausend Aktivisten wurden vorsorglich verhaftet.
Ich werde von meinen Fotografenkollegen des Daily Stars ebenfalls unter Hausarrest gestellt. Niemand weiss, was an diesem Sonntag geschehen wird und sie halten es deshalb für sicherer, wenn ich zu Hause bleibe.
Das Sicherheitskonzept der Regierung scheint grösstenteils zu funktionieren. Nur beim Press Club und Supreme Court kommt es zu Auseinandersetzungen zwischen den verfeindeten Lagern. Beim Obersten Gericht dringen Awami League Anhänger aufs Gelände ein und liefern sich Gefechte mit BNP-freundlichen Anwälten. Zwei Anwältinnen werden brutal mit Bambusstöcken verprügelt. Adnan Wahid, ein befreundeter Fotograf, war dabei. Seine Bilder könnt ihr hier sehen: driknews.com/issue/828 und driknews.com/issue/829.
Ein Bild, das unter den Fotografen und Reportern noch tagelang zu reden gibt, zeigt New Age Cheffotograf Sanaul Haque, wie er sich vor die Angreifer stellt und so eine der Anwältinnen vor weiteren Übergriffen bewahrt. Die einen feiern ihn als Held, andere meinen, dass er damit eine Grenze überschritten hat. Sie finden, als Fotograf/Journalist sei man der objektiven Berichterstattung verpflichtet. Stehe man einer der beiden Seiten bei, werde man automatisch vom Beobachter zum Aktivist. Einige Konkurrenten sind gar wütend, da Sana ihnen weitere «gute» Bilder zunichte gemacht hat. Ich finde Sanas Einsatz mutig und menschlich. Ich kann verstehen, dass man im ersten Moment Bilder schiesst, aber wie lange kann man tatenlos zuschauen, wenn eine wehrlose Person aufs Brutalste attackiert wird? Als ich Sana am nächsten Tag im Press Club treffe, begrüsse ich ihn als «my hero», was meinen Daily Star Kollegen Amran ein bisschen eifersüchtig macht. 🙂
Obwohl der Marsch nach Dhaka auf Montag ausgeweitet wurde, darf ich am nächsten Tag wieder nach draussen. Vor dem Supreme Court kommt es erneut zu Auseinandersetzungen. Sie sind zwar nicht so heftig wie gestern, für mich ist es trotzdem eine interessante Erfahrung mich plötzlich inmitten von Ziegelstein werfenden Frauen und Bambusstock schwingenden Männern wiederzufinden. Mir fällt auf, dass einige meiner Berufskollegen mit Motorradhelm und kugelsicherer Weste unterwegs sind. Ich habe keine Schutzausrüstung und bin ohne Teleobjektiv zudem darauf angewiesen, möglichst nahe ans Geschehen zu gelangen. Ich versuche die Situation stets im Auge zu behalten und vertraue gleichzeitig auf mein Glück. Als ich mich trotzdem einmal unbewusst in die Wurfbahn einer mit faustgrossen Steinen bewaffneten Demonstrantin begebe, warnt mich diese netterweise mit: «Side Madam, side».
Nachdem sich die Situation vor dem Supreme Court beruhigt hat, fahren Amran und ich zum Büro der BNP in Purana Paltan. Doch auch dort ist es ruhig. Die Polizei hat die ganze Strasse total abgeriegelt. Einzig Anwohner und Journalisten erhalten Zugang.
Unsere nächste Station ist die Universität. Dort findet im Büro eines Professors für Journalismus ein Meeting statt. Amran zögert nicht lange und fängt sofort an Bilder zu schiessen. Das passt dem Professor gar nicht und er verlangt nach der Kamera, um die Bilder eigenhändig zu löschen. Er stellt klar, dass ohne Genehmigung in seinem Büro keine Bilder erlaubt seien. Amran wehrt sich: «Als Journalist brauche ich keine Genehmigung.». Selbst als wir das Gebäude längst verlassen haben, regt sich Amran immer noch auf. Dieser Typ predige in jeder TV-Talkshow die Pressefreiheit und nun verbiete er ihm ein Foto zu schiessen! In den nächsten Tagen höre ich die Geschichte immer wieder, als sie Amran all seinen Kollegen erzählt. Am Schluss verstehe ich sie sogar in Bangla :-).
Die Schweizer Journalistenschule MAZ und die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit DEZA bieten jedes Jahr einigen jungen Journalisten und Fotografen die Chance, für ein paar Monate auf Redaktionen in Ländern des Südens zu arbeiten. Im Rahmen dieses Projekts habe ich vom 19. September 2013 bis am 17. Januar 2014 für die Zeitung «The Daily Star» in Dhaka, Bangladesch, fotografiert. Was ich dabei erlebt habe, findet Ihr in diesem Blog unter der Rubrik Bangladesch. Meine Beiträge sowie jene von meinen Kollegen in anderen Ländern könnt Ihr auch hier verfolgen.
< Think TwiceDhaka vor den Wahlen >
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