Whitehorse Flughafen – Bei der Passkontrolle fragt mich der Beamte nach dem Grund meiner Reise. «Ich will einen Elch sehen», kommt mir die spontane Antwort über die Lippen. Der Grenzbeamte lacht und meint: «Nun, von denen haben wir hier einige.» Sagts und drückt mit seiner klobigen Hand den Einreisestempel in meinen Pass.
Doug holt mich am Flughafen ab. Den selbst ernannten Jäger und Sammler kenne ich von einer früheren Reise in den Yukon. Er hat eingewilligt, mir in den nächsten drei Wochen seinen Spielplatz, den Yukon, zu zeigen und mich auf die Elchjagd mitzunehmen.
Der Yukon ist ein Territorium im Nordwesten Kanadas, welches an Alaska angrenzt. Kilometerlange (Birken)wälder, Flüsse, Seen und Berge lassen die Herzen von Naturliebhabern und Abenteurern höher schlagen. Teilen muss man sich die Wildnis mit Bären, Elchen, Adlern, Wölfen und nur wenigen Menschen.
Jack Londons Geschichten aus dem hohen Norden liessen Doug schon als Kind von dieser Wildnis träumen. Und so zog der Farmersbub und Cowboy aus den Weiten Saskatchewans als junger Mann los, den Yukon zu entdecken. Mit im Gepäck nicht viel mehr als eine grosse Portion Abenteuerlust, eine Prise Naivität und ein Gewehr. Später liess sich Doug dauerhaft in Teslin nieder, wo er Zimmer und Kanus vermietet, Touristen auf Angeltouren mitnimmt und ihnen nebenbei sein Outdoorwissen weitergibt. Im Winter versorgt er zudem die Einheimischen mit Feuerholz. Wenn man Doug zuhört, wie er von seinen Begegnungen mit Bären und Elchen erzählt; wenn man ihn beobachtet, wie er sich in der Wildnis bewegt, merkt man schnell, wie sehr er dieses Land und dieses Leben liebt. Er hat hier ganz offensichtlich seinen Platz gefunden und ich damit den besten Reisepartner, den ich mir vorstellen könnte.
Zusammen erkunden wir die Gegend rund um den Quiet und Big Salmon Lake, campieren auf kleinen, einsamen Inseln, beobachten die Nordlichter, baden im eiskalten Fluss, wärmen uns am Feuer, sammeln Beeren, steigen über Geröllhalden und Schnee auf einen Gipfel, ziehen innerhalb weniger Minuten mehrere Hechte aus dem Teslin Lake, schlagen uns einen Weg durchs dichte Unterholz, geniessen die Aussicht von «unserer» Cabin hoch über dem Yukon River und halten dabei immer Ausschau nach einem Elch.
Nun ja, mit der Elchjagd hat es nicht so ganz geklappt. Wir haben zwar insgesamt vier Elche gesehen, sind am Ende aber trotzdem mit leeren Händen nach Teslin zurückgekehrt. Zwei der vier Elche waren Weibchen und für uns deshalb tabu. Nur Angehörige der First Nation (Indianer) dürfen Elchkühe erlegen. Auch sonst gibt es unzählige Regeln, was, wann, wo und wie gejagt werden darf. Das Handbuch dazu bekommt man zusammen mit der Jagdlizenz. Mir kommt der Vorgang vor, wie das Aufgeben einer Bestellung im Restaurant. Der Wildhüter liest das Menü vor (in diesem Fall eine Liste mit den Tieren) und nennt deren Preis. Sagt der Jäger «ja» oder nickt, macht der Wildhüter beim entsprechenden Tier ein Kreuz. (Die folgenden Preise gelten nur für Bewohner des Yukons.)
Elch CAN$ 5
Karibu CAN$5
Dall Sheep CAN$ 10
Grizzlybär CAN$ 25
Schwarzbär CAN$ 5
Doug zählt sich zu den erfolgreichen Elchjägern. Während die durchschnittliche Erfolgsquote bei gerade mal 30% liegt, lag sie für Doug in den vergangenen Jahren bei nahezu 100%. Doch dieses Jahr sollte es nicht sein. Für eine erfolgreiche Jagd müssen viele Faktoren zusammenspielen und nicht alle davon kann man selbst beeinflussen. Bei uns hat offensichtlich nicht alles gepasst. Mal abgesehen davon, dass wir etwas zu früh in der Saison unterwegs waren (die besten Erfolgsaussichten bestehen zur Hauptpaarungszeit Ende September anfangs Oktober), müssen wir auch einiges auf unsere Kappe nehmen. Für mich war klar, dass Doug sich auf seinen Job als Jäger konzentriert, während ich als Fotografin selbst schauen muss, wie ich auf das Geschehen reagiere und gute Bilder kriege. Doug aber änderte seine Taktik spontan, um mir ein möglichst spektakuläres Bild zu ermöglichen. Beim Versuch sich vom Strand her zwei Bullen zu nähern, bekamen diese wohl Wind von der Sache und zogen sich schnell in den Busch zurück. Also genau dorthin, wo Doug eigentlich auf sie gewartet hätte, hätte er seinen ursprünglichen Plan verfolgt. Dass er am Morgen auch noch die Kontaktlinsen ins jeweils falsche Auge getan hat, war der Sache natürlich auch nicht dienlich.
Nun, alles hätte, wäre, wenn, nützt nichts. Wir haben unsere Chance vertan. Trotzdem war die Jagd für mich ein einmaliges Erlebnis. Ich bekam eine Ahnung vom Leben draussen im Busch. Konnte beobachten, wie sich Doug auf die Jagd vorbereitet; wie er die Umgebung stets nach Hinweisen auf Elche und Bären absucht; wie er seiner Intuition vertraut, wenn er sich eine Taktik zurechtlegt; wie er die Taktik wieder ändert, wenn sie nicht zu funktionieren scheint. Ich höre ihn nach den Bullen rufen, indem er ein paarungswilliges Weibchen imitiert. Lache noch als er sagt, dass er nicht überrascht wäre, genau an dieser Stelle ein paar Stunden später einen Elchbullen stehen zu sehen. Und bin still, als wir ein paar Stunden später nebeneinander im nassen Gras liegen und tatsächlich zwei Elchbullen vor uns sehen. Ich spüre, wie seine Anspannung in diesem Moment ins schier unermessliche steigt. Höre, wie er ein Dank- und Bittgebet spricht, bevor er das Gewehr entsichert. Und ich spüre seine Enttäuschung, als die Elche im Busch verschwinden.
In diesem Moment wird mir klar, dass das Fotografieren und Jagen viele Gemeinsamkeiten hat. Für beides muss man sich vorbereiten bevor man ins Feld zieht. Die Waffe respektive Kamera will gepflegt werden und beides muss man laden, sei es mit Patronen oder mit Batterien und Speicherkarten. Es hilft das Objekt der Begierde (Tier oder Sujet) zu kennen, um einzuschätzen, wie es sich verhält, damit man im richtigen Moment am richtigen Ort zur Stelle ist. Es braucht aber auch Intuition und Spontanität, um auf ungewohnte Situationen reagieren zu können. Man braucht Geduld, muss unter Umständen stundenlang auf das Tier oder das richtige Licht warten. Ist der Moment schliesslich gekommen, muss man auf den Punkt wach sein. Jetzt heisst es schnell aber ruhig handeln. Die nötigen Handgriffe müssen automatisiert sein, sonst hat man den Moment schnell verpasst. Die Anspannung ist beim Fotografen und Jäger in diesem Stadium hoch. Man ist völlig fokussiert und blendet den Rest aus. Stimmt alles und hat man erfolgreich abgefeuert, löst sich die Anspannung und verwandelt sich in ein Glücksgefühl.
Und so sind auch Doug und ich am Ende unseres Trips zufrieden. Wir haben zwar keinen Elch aber viele schöne Erinnerungen mit im Gepäck.
Link:
Mehr Bilder aus dem Yukon: Yukon – Larger than life
Wer in den Yukon reist und bei der Planung oder vor Ort Hilfe benötigt, darf sich gerne bei Doug melden: Nisutlin Outfitting
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