«It was the best of times, it was the worst of times, it was the age of wisdom, it was the age of foolishness, it was the epoch of belief, it was the epoch of incredulity, it was the season of light, it was the season of darkness, it was the spring of hope, it was the winter of despair, we had everything before us, we had nothing before us, we were all going direct to Heaven, we were all going direct the other way»
Diese Anfangszeilen aus Charles Dickens «Eine Geschichte aus zwei Städten» (A Tale of Two Cities) treffen sehr gut auf Bangladesch und meine Erfahrungen, die ich in den vergangenen vier Monaten hier gemacht habe, zu. Es gibt kaum Grauzonen. Alles kippt ins Extreme, auf der positiven genauso wie auf der negativen Seite. Am negativen Ende steht die verfahrene, politische Situation, die so viele unschuldige Opfer fordert und das ganze Land schwächt. Aber auch die Konfrontation mit der Armut und der eigenen Hilflosigkeit ihr gegenüber machen mir mitunter zu schaffen. Frustrierend ist es auch, wenn man nach mehreren Monaten, in denen man geglaubt hat einem Land und der Psyche seiner Bevölkerung langsam auf die Spur gekommen zu sein, plötzlich feststellt, dass dem wohl nicht so war und man eigentlich überhaupt nichts versteht.
Dem gegenüber steht die unglaubliche Intensität, die das Leben hier bietet und den Dreck, den Lärm, das Chaos und das Risiko mehr als wett machen und das Leben in der Schweiz langweilig erscheinen lässt. Es sind die vielen lachenden Gesichter und der ausgeprägte Humor der Bangladeschis, die es mir einfacher machen, der Armut zu begegnen. Es ist der Stolz auf ihr Land und ihr Glaube, den ich hinter der Frustration herausspüre, der mir die Hoffnung lässt, dass Bangladesch eine bessere Zukunft vor sich hat. Und so sehr sich unser Denken manchmal unterscheidet, gibt es auch immer wieder Momente, in denen ich mich den Menschen hier mehr verbunden fühle als jenen zu Hause.
Das Leben geht weiter
Und so geht das Leben weiter. Trotz Tumulten. Es mag für einige vielleicht unvorstellbar klingen, aber Unsicherheit und Gewalt werden zur Normalität. Irgendwann höre ich auf, Hartals zu zählen, irgendwann kümmere ich mich nicht mehr darum, ob gerade eine Blockade im Gang ist, aber manchmal rege ich mich auf, wenn die Strassen plötzlich wieder verstopft sind. Es sind jene seltenen Tage ohne Streik und Blockade.
Das Leben geht weiter. Trotz Tumulten. Für die einen ist es der tägliche Kampf ums Überleben. Andere, die es sich leisten können, versuchen das Leben so normal wie möglich zu gestalten und zu geniessen. Sobald es Abend wird, werden überall Netze aufgespannt und Federballschläger hervorgeholt. Die Jungs aus der Nachbarschaft treffen sich dann zu einem Spiel unter «Flutlicht». Ein paar Mal treffe ich mich mit ein paar «Redaktionsgspändli» zum Pizzaessen in Bashundhara City, einer Shoppingmall, wie sie in jeder Grossstadt dieser Welt zu finden ist. Und an einem Freitag ohne Hartal und Blockade mache ich zusammen mit meinen Kollegen vom 6. Stock einen Ausflug ins etwa 40 Kilometer entfernte Jantrail in Nawabganj, wo Sania’s Familie ein Haus besitzt (Bildergalerie: Ausflug Jantrail).
Das Leben geht weiter. Trotz Tumulten. Und es wird keine Gelegenheit ausgelassen zu feiern:
An meinem Geburtstag werde ich von meinen Redaktionskolleginnen Zina, Tanzin und Sania zu Kaffee und Kuchen ins Barrista eingeladen. Am Nebentisch sitzen Ross Taylor und Shane Bond vom New Zealand Cricket Team, welches wegen ein paar Testspielen gegen Bangladesch in der Stadt ist. Meine Begleiterinnen sind super aufgeregt, getrauen sich aber nicht, die beiden Jungs anzuquatschen. Ich verstehe zwar nichts von Cricket und hätte die beiden auch nicht erkannt, frage aber dennoch für ein Erinnerungsfoto.
Am 5. Dezember feiern meine Gasteltern Elisabeth und Rubai ihre Geburtstage mit einer Party. Zu diesem Anlass haben sie in zwei Nachtschichten zig Kerzen gegossen, die nun die Dachterrasse beleuchten.
Zum 1-jährigen Hochzeitstag lädt Shakib Al Hasan, Bangladesch’s bester Cricketspieler, am 15. Dezember zu einem Empfang ins Bangabandhu International Conference Centre ein. Ich bin stolz, mit meiner Kamera dabei sein zu dürfen. Viele Bangladeschis beneiden mich darum, ist Cricket hier doch der Nationalsport und Shakib Al Hasan vergleichbar mit einem Roger Federer.
Am 16. Dezember feiert Bangladesch den Victory Day. Den Tag, an dem die Nation die Unabhängigkeit von Pakistan erlangt hat. Nach fast ununterbrochenen tagelangen Streiks und Blockaden in den Wochen zuvor, an denen die Strassen der Stadt verdächtig ruhig und leer waren, strömen die Menschen plötzlich zu tausenden nach draussen. Es ist als fiele eine schwere Last von der Volksseele. Auch ich fühle mich erleichtert und geniesse das Bad in der Menge. Lachende Gesichter und leuchtende Augen umgeben mich. Viele tragen rot und grün, die Farben von Bangladesch. Und auch ich habe bald Wangen und Hände mit der bangladeschischen Flagge und Slogans bemalt. (Bildergalerie: Victory Day)
Ich, die es in der Schweiz trotz guten Vorsätzen nie an eine Mitternachtsmesse geschafft hat, werde in Dhaka von meinen muslimischen Freunden am 24. Dezember zur Tejgaon Kirche begleitet. Obwohl Christen einen verschwindend kleinen Teil der Bevölkerung Bangladesch’s ausmachen, ist die Kirche gestossen voll. Der Gottesdienst ist in Bangla und zwischendurch werden christliche Lieder, untermalt von hinduistisch angehauchter Musik, gesungen.
Am 25. Dezember bin ich bei Amran eingeladen. Ein paar Verwandte aus Australien sind zu Besuch. Zu diesem Anlass versammelt sich die ganze Familie in der kleinen 4-Zimmer Wohnung. Da der Platz um den Esstisch nicht für alle reicht, verteilen sich die Gäste auf alle Zimmer. Einige sitzen im Schneidersitz und mit dem Teller auf den Knien auf dem Ehebett während andere im Kinderzimmer am Boden sitzen.
Redaktionskollege Fahd nimmt mich am 27. Dezember zu einer Vorhochzeitsparty seiner Freunde Adit und Laila in Rajendrapur mit. Der Weg ist lang, kalt und gefährlich. Auf der Rückfahrt rammt uns auf dem Highway ein Auto von der Seite und bringt unser Motorrad gefährlich ins Schlingern. Vor meinem inneren Auge sehe ich mich schon wieder auf dem Asphalt liegen (mein erster Motorradunfall liegt rund zwei Monate zurück: «Pechsträhne in Lalmonirhat»). Nun, irgendwie schafft es Fahd die Maschine wieder auf Kurs zu bringen und wir erreichen Dhaka unversehrt. Der Ausflug hat sich trotz diesem Schockerlebnis gelohnt. Die Party, an der sich die Teilnehmer ähnlich wie am hinduistischen Holi Festival mit Farbe bewerfen, hat Spass gemacht. (Bildergalerie: Polychrome)
Silvester verbringe ich mit Adnan, einem Fotografen von Drik, und seinem Cousin Rishad, der als Reporter beim Independent Television Network arbeitet. Seit mir Adnan ein Fahrrad auf Vordermann gebracht hat, touren wir manchmal nachts auf zwei Rädern durch die Stadt. Und so radeln wir auch heute ins Neue Jahr. Beim ersten Zwischenstopp bei einem ihrer Freunde gibt’s noch Tee. Beim zweiten, einer kleinen Hausparty mit drei anderen Journalisten, kommt Hochprozentiges auf den Tisch. Innerhalb einer halben Stunde ist die Flasche leer und ausser mir alle betrunken. So schnell die Party angefangen hat, so schnell ist sie auch wieder aufgelöst. Ich wundere mich noch, wie mich meine Begleiter unter diesen Umständen sicher nach Hause bringen werden, als wir auch schon wieder im Sattel sitzen. Rishad singt aus voller Kehle, aber das tut er eigentlich auch im normalen Zustand. Adnan ist verdächtig ruhig und konzentriert sein Fahrrad auf Kurs zu halten. Bei der Baustelle in der Nähe meines Hauses gelingt ihm dies allerdings nicht mehr. Er fährt in eine Absperrung und fliegt in hohem Bogen darüber hinaus. Wenn das mal nicht ein guter Start ins Neue Jahr ist.
Tja, und so geht das Leben weiter… trotz Tumulten. Meine Zeit in Bangladesch ist leider abgelaufen. Aus drei Monaten wurden vier. Sie gehören trotz aller Widrigkeiten zu den besten meines Lebens. Es gäbe noch so viel zu erzählen… Ich werde bei Gelgenheit noch ein paar Bilder und Geschichten nachliefern. Im Moment reise ich durch Indien, hoffe aber im März nochmals für eine Weile nach Bangladesch zurückzukehren. Bis dann… dekha hobe.
Die Schweizer Journalistenschule MAZ und die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit DEZA bieten jedes Jahr einigen jungen Journalisten und Fotografen die Chance, für ein paar Monate auf Redaktionen in Ländern des Südens zu arbeiten. Im Rahmen dieses Projekts habe ich vom 19. September 2013 bis am 17. Januar 2014 für die Zeitung «The Daily Star» in Dhaka, Bangladesch, fotografiert. Was ich dabei erlebt habe, findet Ihr in diesem Blog unter der Rubrik Bangladesch. Meine Beiträge sowie jene von meinen Kollegen in anderen Ländern könnt Ihr auch hier verfolgen.
< (S)electionPechsträhne in Lalmonirhat >
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